Heidelberg/Berlin - Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Deutschland. Doch wie groß sind aktuell die Sorgen um Demokratie und Frieden? Mit welchen Emotionen reagieren die Deutschen auf das Thema? Und wie wird die "Erinnerungskultur" bewertet? Diesen und weiteren Fragen ist das SINUS-Institut in Kooperation mit YouGov in einer repräsentativen Online-Befragung nachgegangen.
Angst vor Zerstörung der Demokratie und neuen Kriegen: Wiederholt sich die Geschichte?Viele Deutsche ziehen Parallelen zwischen der Gegenwart und den 1930er- und 1940er-Jahren: 6 von 10 Befragten (60 %) fühlen sich durch manche aktuellen politischen und sozialen Entwicklungen an die Ereignisse erinnert, die zur Herrschaft der Nazis geführt haben. 4 von 10 Befragten (43 %) halten heute gar eine Wiederholung einer autoritären Herrschaft wie das Nazi-Regime für denkbar.Knapp zwei Drittel der Befragten (64 %) sehen die Demokratie in Deutschland in Gefahr. Besonders Wählerinnen und Wähler von Linke (78 %), Grünen (74 %) und SPD (70 %) sind dieser Meinung, aber auch mehr als die Hälfte der Wähler von AfD (65 %), BSW (65 %) und CDU/CSU (58 %) äußern diese Befürchtung. Fast zwei Dritteln aller Befragten (62 %) macht die Gefahr von rechts Sorgen, speziell Wählern von Linke, Grünen und SPD, während fast die Hälfte aller Befragten (47 %) eine Gefahr von links sieht, besonders AfD-Wähler. Unions-Wähler sehen die Demokratie von beiden Seiten unter Druck (Rechts: 75 %, Links: 62 %)."So einig sich Menschen unterschiedlicher politischer Überzeugungen in ihrer Sorge um die Demokratie sind, so unterschiedlich denken sie darüber, weshalb die Demokratie gefährdet ist", fasst Frieder Schmid, Account Director bei YouGov, zusammen. "Hier zeigt sich, dass auch die Gesellschaft in Deutschland entlang politischer Überzeugungen gespalten ist. Auch deshalb wirken Appelle an Wählerinnen und Wähler, die zur Rettung der Demokratie aufrufen, nicht wirklich: Alle Lager sehen die Demokratie gefährdet, ziehen aber unterschiedliche Schlüsse daraus."Aus Sicht der Bevölkerung gibt es klar erkennbare Gründe, dass zurzeit mehr Menschen als früher Parteien wählen, die radikale oder extreme Positionen vertreten: Migration und Flüchtlingspolitik (76 %), Unzufriedenheit mit der Regierung (69 %) und Islamistische Attentate in Deutschland (60 %) stehen dabei ganz oben. Besonders kritisch wird auch die Rolle der sozialen Medien bewertet: Mehr als drei Viertel der Befragten (77 %) glauben, dass soziale Medien zu einer Verstärkung von populistischen oder extremistischen Aussagen beitragen.Konkrete Angst davor, dass bald ein Dritter Weltkrieg ausbricht, äußert eine Mehrheit der befragten Deutschen (59 %). Jedoch wäre nur jeder bzw. jede fünfte Befragte (20 %) im Kriegsfall bereit, Deutschland als Soldat bzw. Soldatin zu verteidigen. Männer in höherem Ausmaß (30 %) als Frauen (10 %), weiterhin ist die Zustimmung unter jungen Befragten höher (18 bis 29 Jahre: 26 %, 30 bis 39 Jahre: 24 %).Zweiter Weltkrieg bleibt emotionales und vielschichtiges ThemaAuch 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges bewegt das Thema die Deutschen auf vielfältige Weise: In einer gestützten Mehrfachauswahl empfinden die Befragten am häufigsten Erschütterung (43 %), Bedrückung (36 %), Angst oder Interesse (jeweils 19 %), wenn sie an das Thema denken. Abwehrhaltungen sind deutlich seltener verbreitet, etwa Genervtheit (17 %), Distanz (10 %) oder Bevormundung (6 %).Die historische Bewertung des Kriegsendes ist vielschichtig: 45 % der Befragten sehen den 8. Mai 1945 eher als Befreiung für Deutschland, 27 % empfinden sowohl eine Niederlage als auch eine Befreiung, 15 % betrachten das Kriegsende eher als Niederlage. Die restlichen 13 % machten keine Angabe. Die Schuld an der Zerstörung Deutschlands durch den Krieg wird dabei klar bei den Nationalsozialisten gesehen (75 %)."Erinnerungskultur" zwischen Ermüdung und DemokratiestärkungDie Auseinandersetzung mit Deutschlands Rolle im Zweiten Weltkrieg polarisiert und erzeugt in Teilen der Bevölkerung eine "Erinnerungsmüdigkeit": Ein Drittel der Befragten (34 %) findet, dass hierzulande zu viel darüber gesprochen wird. Etwas weniger (29 %) halten das Maß für genau richtig, während knapp ein Viertel (23 %) die Ansicht vertritt, dass zu wenig darüber gesprochen wird. Der Rest macht hierzu keine Angabe.Vergleichbare Spannungen zeigen sich auch im Umgang mit der Erinnerung: Einerseits stimmt die Mehrheit der Befragten (57 %) zu, dass wir zu sehr auf die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte schauen. Andererseits bekräftigt die Hälfte (50 %), dass es nie einen "Schlussstrich" geben darf und die Erinnerung an Deutschlands Rolle wachgehalten werden muss. 4 von 10 Befragten sind überzeugt, dass die "Erinnerungskultur" unsere Demokratie stärkt (41 %).Werte wichtiger als Alter und Bildung: Erinnerung als Milieu-FrageDer Umgang mit der "Erinnerungskultur" ist in der Gesellschaft ungleich verteilt und hängt stärker mit Werten und Lebensstilen von Menschen zusammen als mit soziodemografischen Faktoren wie Geschlecht, Alter oder Bildung. Das legt die Analyse im Gesellschaftsmodell der Sinus-Milieus ( https://www.sinus-institut.de/sinus-milieus ) offen, welches die deutsche Bevölkerung auf Basis ihrer Werte, Lebensstile und der sozialen Lage in zehn "Gruppen Gleichgesinnter" einteilt.Dr. Silke Borgstedt, Geschäftsführerin des SINUS-Instituts, erläutert: "Das Postmaterielle Milieu ist die engagierte Bildungselite unserer Gesellschaft. Menschen in diesem Milieu befürworten in hohem Maße eine andauernde kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und begreifen 'Erinnerungskultur' als moralisches Projekt – mit dem Ziel, daraus aktiv Konsequenzen zu ziehen, politisch wie persönlich."Eine große Distanz zur "Erinnerungskultur" zeigt sich hingegen im Nostalgisch-Bürgerlichen Milieu, der harmonieorientierten unteren Mitte Deutschlands. "Eine dauerhafte Konfrontation mit den dunklen Kapiteln der Geschichte wird in diesem Milieu oft als Belastung und Zumutung empfunden – weniger aus fehlendem Geschichtsbewusstsein oder Ignoranz, sondern als Hindernis für ein positives kollektives Selbstverständnis", sagt Dr. Borgstedt.Auseinandersetzung, Identität und Verantwortung zwischen öffentlicher Relevanz und privater DistanzDer Zweite Weltkrieg ist für viele Deutsche vor allem ein Thema des öffentlichen Diskurses und weniger relevant im privaten Alltag: So ist für jeden zweiten Befragten (49 %) das Thema in der Öffentlichkeit (z.B. in Medien, Politik oder gesellschaftlichen Debatten) präsent, aber im persönlichen Alltag spielt das Thema nur für jeden fünften Befragten (20 %) eine Rolle. Dieser Unterschied findet sich auch in Fragen der Identität: 67 % stimmen zu, dass die Nazi-Zeit das Selbstverständnis Deutschlands bis heute prägt, doch nur 27 % sehen darin eine prägende Kraft für ihr Selbstbild als Bürgerin oder Bürger Deutschlands.Mit Blick auf die künftige Verantwortung zeigt sich erneut eine differenzierte Bewertung: Eine Mehrheit (55 %) stimmt zu, dass Deutschland aufgrund seiner Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg eine besondere moralische Verantwortung für Frieden und Zusammenarbeit in der Welt trägt. Allerdings sind sich die Befragten fast einig (88 %) darin, dass die nachfolgenden Generationen nicht für das verantwortlich gemacht werden sollten, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist.Blick nach Österreich: Mehr Offenheit für Aufarbeitung, ähnliche ZukunftssorgenDie Menschen in Österreich sind etwas offener für den Umgang mit ihrer Geschichte. Repräsentative Daten des SINUS-Schwesterinstituts INTEGRAL zeigen: 35 % der Befragten im Nachbarland finden, dass zu wenig über die Rolle ihres Landes im Zweiten Weltkrieg gesprochen wird (vs. 23 % in Deutschland), während nur 24 % denken, dass zu viel darüber gesprochen wird (vs. 34 % in Deutschland).Die Bevölkerungen beider Länder teilen ähnliche Zukunftssorgen: 55 % der Befragten in Österreich haben Angst davor, dass bald ein Dritter Weltkrieg ausbricht (vs. 59 % in Deutschland), und 16 % würden im Kriegsfall ihr Land als Soldatin bzw. Soldat verteidigen (vs. 20 % in Deutschland).Methodischer Hinweis Die Daten dieser Befragung basieren auf Online-Interviews mit Mitgliedern des YouGov Panels, die der Teilnahme vorab zugestimmt haben. Für diese Befragung mit YouGov Surveys ( https://business.yougov.com/de/produkt/realtime ) wurden im Zeitraum vom 21.3. bis 24.3.2025 insgesamt 2.196 Personen befragt. Die Erhebung wurde nach Alter, Geschlecht, Bildung, Region, Wohnumfeld, Wahlverhalten und politisches Interesse quotiert und die Ergebnisse anschließend entsprechend gewichtet. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die Wohnbevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren.Über das SINUS-Institut Die SINUS Markt- und Sozialforschung GmbH mit Standorten in Heidelberg und Berlin ist seit über 40 Jahren Spezialist für psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung und Beratung. Das Institut entwickelt Strategien für Unternehmen und Institutionen, die den soziokulturellen Wandel als Erfolgsfaktor nutzen.Ein zentrales Tool dafür sind die Sinus-Milieus ( https://www.sinus-institut.de/sinus-milieus ) - ein Gesellschafts- und Zielgruppenmodell, das Menschen nach ihren Lebenswelten in "Gruppen Gleichgesinnter" zusammenfasst. Die Sinus-Milieus zählen seit Jahrzehnten zu den bekanntesten und einflussreichsten Segmentationsansätzen und sind mittlerweile für über 50 Länder verfügbar.SINUS kooperiert eng mit den Schwesterunternehmen INTEGRAL Markt- und Meinungsforschung in Wien und OPINION Market Research & Consulting, Nürnberg (INTEGRAL-SINUS-OPINION Gruppe).Kontakt für Rückfragen: SINUS Markt- und Sozialforschung GmbH Tim Gensheimer Telefon: +49 (0)6221 80 89 60 E-Mail: presse@sinus-institut.deÜber YouGov YouGov ist ein internationales Unternehmen für Online-Marktforschung und Analysetechnologie mit dem Ziel, umfassende Einblicke in das zu bieten, wie die Welt wirklich denkt und handelt.Mit Niederlassungen im Vereinigten Königreich, Nord- und Südamerika, Europa, im Nahen Osten, Indien und im asiatisch-pazifischen Raum verfügen wir über eines der größten Marktforschungsnetzwerke der Welt.Vor allem aber ist YouGov von der Realität geleitet. 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