Der mutmaßliche Attentäter von Solingen, Issa Al H., soll unmittelbar vor dem Messeranschlag, bei dem im August 2024 drei Menschen getötet und zehn zum Teil schwer verletzt wurden, von einem mutmaßlichen Mitglied der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) angeleitet worden sein.
Das berichten die "Süddeutsche Zeitung" sowie NDR und WDR nach eigenen Recherchen.
Die Auswertung der Telekommunikation durch die Ermittlungsbehörden ergibt demnach, dass den 27-jährigen Syrer wenige Tage vor der Tat über den Messengerdienst Telegram Nachrichten einer IS-nahen Chatgruppe mit einer Art To-do-Liste für die Begehung von Anschlägen erreicht haben: Man solle an seiner körperlichen Fitness arbeiten, den Tatort gut auskundschaften und seine Absichten zum Beispiel dadurch verdunkeln, dass man Spuren im Internet lösche sowie zwei Telefone nutze.
Issa Al H., dem von Dienstag an vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf der Prozess gemacht wird, soll daraufhin selbst den direkten Kontakt mit dem Administrator der Telegram-Gruppe gesucht und in den 24 Stunden vor der Tat etwa 60 Nachrichten mit ihm ausgetauscht haben.
Der Generalbundesanwalt hält diesen Mann, über den außer seinem Kampfnamen "Abu Faruq al Jihadi" nichts bekannt ist, für ein IS-Mitglied, das für die Rekrutierung und Ausbildung von Selbstmordattentätern im Ausland zuständig gewesen sein soll. Die deutschen Ermittler konnten die Person allerdings nicht identifizieren. "Abu Faruq" soll den mutmaßlichen Solingen-Attentäter darauf hingewiesen haben, dass er vor einer solchen Tat unbedingt den Treueschwur auf den IS ablegen müsse - was dieser dann auch getan habe.
Issa Al H. soll auch mit zwei weiteren unbekannten Männern gechattet haben, die die Anklage als IS-nah einstuft. Seine Chatpartner weihte der spätere mutmaßliche Attentäter demnach in seine Pläne ein, schickte ihnen auch Bekennervideos, die er auf Geheiß von "Abu Faruq" vor der Tat aufgenommen haben soll und die nach dem Anschlag auf das Solinger Bürgerfest über IS-Propagandaplattformen verbreitet wurden.
Noch in der Nacht vor dem Angriff soll sich Issa Al H. mit seinem mutmaßlichen Unterstützer über die Beschaffenheit einer möglichen Tatwaffe beraten und ihm das Bild eines Messers geschickt haben. "Ich denke, es sollte kürzer und schärfer sein", habe der Chatpartner entgegnet. Noch am Tattag, wenige Stunden vor dem Anschlag, soll Issa Al H. dann einen ganzen Messerblock in einem Haushaltswarengeschäft gekauft haben, darunter auch ein Tranchiermesser, die spätere Tatwaffe.
Die Nachrichten sind relevant, weil Issa Al H. außer wegen dreifachen Mordes und mehrfachen Mordversuchs auch wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt ist. Bisher hat er gegenüber den Behörden geschwiegen, Hinweise auf ein mögliches Tatmotiv offenbarte er demnach lediglich einem psychiatrischen Gutachter, der über die Schuldfähigkeit des Angeklagten befinden sollte. Sein Gehirn, soll Al H. gesagt haben, sei "mit diesen Religionssachen gewaschen" worden. Bei der Ausführung habe er die toten Kinder aus Palästina vor seinen Augen gesehen und einen "lachenden israelischen Polizisten".
Das vorläufige psychiatrische Gutachten sieht indes keine Anzeichen für einen wahnhaften Zustand und hält den Angeklagten für schuldfähig, die Tat sei planvoll und zielgerichtet ausgeführt worden. Die Anklage geht davon aus, dass sich bei Al H. eine bereits seit spätestens 2020 vorhandene islamistische Ideologie durch die israelische Reaktion auf den Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 verstärkt hat. Er habe in westlichen Gesellschaften Unterstützer der militärischen Angriffe Israels auf den Gazastreifen gesehen und Vergeltung üben wollen. Sein Anwalt wollte sich auf Anfrage der Medien erst nach Prozessbeginn äußern.
Der mutmaßliche Terroranschlag von Solingen ist seit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016 die erste Tat in Deutschland, die der "IS" für sich reklamiert.