Linksfraktionschef Sören Pellmann hat Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) scharf kritisiert.
Anlass sind ihre Äußerungen, die Deutschen müssten "mehr und länger arbeiten".
Für Pellmann sind diese Äußerungen "Teil einer immer heftigeren Kampagne von Union und Arbeitgebern gegen die Mehrheit und den Sozialstaat", wie er der "Welt" sagte. "Der Ministerin geht es nicht um gute Wirtschaftspolitik, sondern absehbar um Rentenkürzungen, entgrenzte Arbeitszeit, noch mehr Schufterei und Kürzungen im Sozialen - ganz im Sinne einer `Agenda Merz 2030`." Kranken- und Rentenversicherung seien "vor allem deswegen überlastet, weil Union und SPD verhindern, dass Reiche und Vermögende sich angemessen an deren Finanzierung beteiligen".
Pellmann forderte: "Statt die Menschen im Land zu belehren, sollte Wirtschaftsministerin Reiche jene Defizite anpacken, die seit Langem bekannt sind." Vielen Menschen sei der Zugang zum Arbeitsmarkt mangels Ausbildung verwehrt, viele Frauen würden wegen fehlender Kinder-Betreuungsplätze "in Teilzeit gezwungen". Die Ministerin könne zudem wissen, "dass Beschäftigte in Deutschland vergangenes Jahr circa 1,2 Milliarden Überstunden geleistet haben - mehr als die Hälfte davon unbezahlt - und dass für viele Menschen schon jetzt nach einem Leben voller Arbeit Armutsrenten warten".
Für die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion, Gerrit Huy, ist das größte Problem die "schlechte Entwicklung der Arbeitsproduktivität". Sie stagniere oder wachse weit unterdurchschnittlich seit gut zehn Jahren. "Wir haben zu wenig Investitionen in Rationalisierung und Innovation, die für eine Verbesserung sorgen könnten. Es ist halt nicht mehr attraktiv, in Deutschland zu investieren." Hierin liege der "wesentliche Schlüssel für eine Stabilisierung und Verbesserung unserer Renten", sagte Huy und kritisierte Reiche: "Statt die arbeitende Bevölkerung zu beschimpfen, soll sie erst einmal zeigen, was sie kann."
Die AfD-Politikerin sagte zudem, das "mögliche Arbeitsvolumen" werde erheblich durch fünf Millionen Erwerbsfähige reduziert, die "nicht oder nicht ihren Lebensunterhalt deckend arbeiten. Vier Millionen von ihnen sitzen trotz vieler offener Stellen im Bürgergeld." Hinzu komme eine "sehr hohe Teilzeit-Arbeitsquote, insbesondere bei Frauen". Dies dürfe nicht einem Mangel an Kita-Plätzen geschuldet sein: "Deshalb fordern wir auch eine Priorisierung berufstätiger Eltern bei der Platzvergabe." Als weiteres Problem machte Huy einen späten Berufseintritt aus: "Das liegt unter anderem daran, dass bei uns das durchschnittliche Alter, in dem eine Ausbildung begonnen wird, inzwischen bei 20 Jahren liegt."
Die schwarz-rote Regierung ringt nach dem Vorstoß von Reiche um eine neue Rentenpolitik. Sebastian Roloff, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, hält ihren Ansatz für falsch. "Die Argumentation von Frau Reiche ist stark verkürzt und wird der Lage nicht gerecht", sagte Roloff dem "Spiegel".
Es sei zwar korrekt, dass Deutschland mehr Arbeitskraft benötige, "das kann man aber nicht pauschal über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters erzwingen". Roloff setzt hingegen auf den Zuzug von Fachkräften und will ältere Erwerbstätige lieber durch Anreize statt Zwang für längeres Arbeiten begeistern. Möglich seien Steuererleichterungen und ein flexiblerer Eintritt ins Rentenalter - es sind Pläne der alten Ampelregierung vom vergangenen Herbst.